Mental stark - der Mann mit dem Halo
In unseren vorherigen Beiträgen haben wir bereits einiges zum Thema «Mentale Stärke» geschrieben und uns dabei primär auf die Praxis konzentriert. Es ging insbesondere um die Anwendung von mentalen Techniken aus dem Mentaltraining. Hier wollen wir nun der Theorie der «Mentalen Stärke» nachgehen und aufzeigen, was mental starke Personen auszeichnet und weshalb es für unsere Gesundheit gut ist, an seiner Denkweise zu arbeiten.
Was ist mentale Stärke?
Die mentale Stärke (engl. mental toughness) ist ein Konzept aus der Sportpsychologie, das in den letzten Jahren in Bereichen ausserhalb des Sports immer mehr Beachtung erhalten hat. Aus der Sportpsychologie und Sportwissenschaft ist bekannt, dass es sich bei der mentalen Stärke um ein zentrales Konstrukt handelt, welches psychologische Faktoren beinhaltet, die die Leistungsfähigkeit und den Erfolg von Sportlerinnen und Sportler positiv beeinflussen. Ausserhalb des Sports zeigen verschiedene Studien, dass mental starke Personen nachweislich weniger Stress wahrnehmen, weniger depressive Symptome aufweisen, weniger Schlafbeschwerden haben, zufriedener mit ihrem Leben sind und über eine allgemein bessere psychische Befindlichkeit verfügen. Du fragst dich, was mental starke Personen auszeichnet?
Charakteristisch für mental starke Personen ist, dass sie ihr persönliches Umfeld als kontrollierbar und sich selbst als kompetent und einflussreich wahrnehmen. Zudem bleiben sie unter widrigen Umständen engagiert und sehen Schwierigkeiten als natürliche Herausforderungen, die ihrer persönlichen Entwicklung dienen. Mental starke Personen sind dementsprechend äusserst stressresistent und sehen häufig auch schwierige Lebenssituationen als Chance für persönliches Wachstum. Mentale Stärke ist somit eine Art Persönlichkeits-Eigenschaft, die es uns Menschen ermöglicht, auch grossen Druck und Stress in eine Chance umzuwandeln. Dies veranschaulicht die Geschichte von Tim Don - einem britischen Triathleten und Duathleten, dreifachen Olympioniken, Ironman-Sieger und mit 7:40:23h Halter der Weltbestzeit bei einem Ironman-Rennen.
Tim Don – «The man with the halo»
Im Jahr 2017 brach sich Tim Don, der schnellste IRONMAN-Athlet der Welt, bei der Vorbereitung auf die IRONMAN Weltmeisterschaft in Kona/Hawaii das Genick. Statt eines operativen Eingriffs wurden ihm, um das Genick zu stabilisieren, vier Schrauben in den Schädel gebohrt und ein Halofixateur befestigt, der über seinen gesamten Rücken reichte. Im Gegensatz zur englischen Bedeutung von «halo», dem Heiligenschein, erinnert der medizinische Halo eher an ein Foltergerät. Trotz immensen Schmerzen dachte Tim Don nicht daran aufzugeben und kämpfte. Dabei stiess er mehrfach an seine Grenzen, körperlich wie mental.
«Mir war es wichtiger zu versuchen und zu scheitern, als gar nicht erst zu scheitern.»
(Tim Don)
Als Spitzensportler war mentale Stärke für Tim Don kein Fremdwort. In der Zeit seiner Rehabilitation bekam der Begriff jedoch eine ganz andere Dimension. Tim Don kam aus seiner scheinbar unmöglichen Situation mental gestärkt zurück. Wie erfährst du im Film, der die gesamte Zeit vom Unfall bis zu seinem Comeback dokumentiert.
«Egal, welche Herausforderungen dir im Leben begegnen, es geht immer um die richtige Sichtweise. Seine Sichtweise ist nicht: «Ich stecke in diesem Halo fest», sondern: «Ich habe Glück, dass ich am Leben bin, und ich nutze diese Gelegenheit, um besser und stärker zu trainieren als je zuvor.»
(Franko Vatterott)
Das Zitat von seinem Manager veranschaulicht die bereits beschriebene Charaktereigenschaft von mental starken Personen, die unter widrigen Umständen engagiert bleiben und Schwierigkeiten als natürliche Herausforderungen wahrnehmen, sehr gut. Wie Tim Don in einem Interview mit Red Bull aus dem Jahr 2018 erwähnte, scheint ihm genau diese Eigenschaft geholfen zu haben, das scheinbar Unmögliche möglich zu machen. Im Interview gab er folgende Tipps ab, die ihm halfen und auch anderen Menschen helfen können, schwierige Lebenssituationen erfolgreich zu meistern:
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Gib niemals auf
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Leg deinen Fokus auf den Prozess und nicht auf das Ziel
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Erlaube dir Zeit, deine Situation zu verarbeiten – und blicke dann nach vorne
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Halte dich am Guten fest
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Sei anpassungsfähig
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Finde deine Motivation
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Gib deinem Tag einen Sinn
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Setz dir Meilensteine, die du erreichen willst und die realistisch sind
Diese Tipps mögen auf den ersten Blick banal und selbstverständlich klingen, sind aber alles andere als das, wie im Film sehr deutlich wird. Selbst einem mental starken Sportler wie Tim Don fiel es in der Zeit nach seinem Unfall schwer, das Positive in der Situation zu sehen und nach vorne zu blicken. Dennoch gelang es ihm, mit Hilfe seiner Ehefrau und seinem Umfeld, immer und immer wieder die Situation anzunehmen, das Beste daraus zu machen und den Blick nach vorne zu richten.
«Man sagt: «Da fängst du an, da hörst du auf, und so hast du Erfolg.» Aber so funktioniert das nicht, das ist Blödsinn. Es ist eher so: Der Weg zum Erfolg ist keine gerade Linie, aber irgendwann kommt man trotzdem ans Ziel. Vielleicht mache ich auf dem Weg dorthin ein paar Umwege mehr, aber ich glaube trotzdem, dass ich zurückkommen und wieder Rennen gewinnen kann.»
(Tim Don)
Die Geschichte von Tim Don ist ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass wir an unserer Denkweise arbeiten und uns tagtäglich bewusst sind, dass wir, egal wie widrig die Situation gerade scheint, ihr nicht machtlos ausgeliefert sind. Die Art und Weise wie wir über eine Situation denken, beeinflusst sowohl unseren Umgang als auch unser Befinden. Achte dich in den nächsten Tagen darauf, wie du verschiedene Situationen in deinem Leben wahrnimmst und interpretierst. Ist für dich das Glas eher halb leer, statt halb voll? Dann versuche die Perspektive zu wechseln und nimm dir Zeit, um ein paar positive Dinge aus der aktuellen Situation herauszuschälen. Gelingt es dir mindestens einen positiven Aspekt zu finden, dann achte darauf, wie du dich dabei fühlst. Nimm dir Zeit und hab Geduld mit dir selbst.
Referenzen:
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