Nein sagen
Deine Freunde laden dich zum Essen ein. Eigentlich eine freudige Angelegenheit! Jedoch hast du an diesem Tag schon so viel zu tun und eigentlich bräuchtest du einen ruhigen Abend zu Hause, um dich zu erholen. Sagst du zu oder sagst du ab?
Was hindert uns daran, Nein zu sagen?
Es gibt verschiedene Gründe, die uns davon abhalten, Nein zu sagen. Einige tief verwurzelte Ängste spielen dabei eine entscheidende Rolle:
- Angst vor Disharmonie: Indem wir entgegen der gesellschaftlichen Norm handeln und die Erwartungen oder Hoffnungen unseres Gegenübers enttäuschen, birgt ein Nein und damit die Enttäuschung unseres Gegenübers die Gefahr, Disharmonie auszulösen. Diese auszuhalten ist für viele Menschen eine Herausforderung, wobei ein widerwilliges «Ja» als das kleinere Übel erscheinen kann. Diese Angst vor Disharmonie ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass wir schon als Kinder lernen, die Bedürfnisse anderer über unsere eigenen zu stellen. Vor allem Mädchen lernen schon früh, freundlich und angepasst zu sein – und dazu passt ein Nein so gar nicht.
- Angst vor Ersetzbarkeit: Die Sorge, ersetzt zu werden, lässt uns Ja sagen, obwohl wir eigentlich Nein meinen. Auch kann es sich bisweilen so anfühlen, als wäre man nicht gut genug, wenn man die Bitte der Chefin oder des Kollegen ablehnt. Wir fürchten uns davor, wichtige Beziehungen oder gar unseren Arbeitsplatz zu verlieren.
- Angst vor sozialer Ausgrenzung: Wenn wir eine Bitte ablehnen, stellen wir in diesem Moment unsere eigenen Bedürfnisse über die Bedürfnisse unseres Gegenübers. Dies macht Angst, da es von aussen als egoistisch wahrgenommen und mit dem Entzug von Liebe, Freundschaft und Zuneigung bestraft werden könnte.
Diese Ängste sind tief in unserer Entwicklungsgeschichte verwurzelt. Wer in der Steinzeit aus der Gruppe verstossen wurde, fiel dem Säbelzahntiger zum Opfer. Diese Angst vor Zurückweisung und Liebesentzug ist evolutionär in uns verankert, da seit jeher jene überlebt haben, die sich angepasst haben und so im Schutz der Gruppe leben konnten. Die Angst vor Zurückweisung und Verlust ist also ein uralter Überlebensinstinkt.
Es gibt auch moderne Faktoren, die uns dazu bringen, Ja zu sagen, obwohl wir eigentlich Nein meinen:
- Energiemangel: Wir haben keine Energie für einen möglichen Konflikt, den ein Nein auslösen könnte und wählen daher den Weg des geringsten Widerstands. In Wirklichkeit schieben wir das Problem aber nur vor uns her, denn ein Ja ist oft mit mehr Arbeit verbunden und erfordert daher längerfristig mehr Energie.
- Perfektionismus: Menschen mit hohen Ansprüchen an sich selbst fühlen sich oft verpflichtet, zu allem Ja zu sagen, um als perfekte, alles schaffende Menschen wahrgenommen zu werden. Es kann schwierig sein, dieses Selbstbild zu untergraben. Der erste Schritt in die richtige Richtung ist, sich seiner Muster bewusst zu werden.
- Rollenkonflikte: Wir alle nehmen im Alltag verschiedene Rollen ein. Wir sind Arbeitskolleg*in und Freund*in, Tochter/Sohn und Mitmensch zugleich. So kann es vorkommen, dass wir als Freund*in eine Anfrage bejahen würden, als Arbeitskolleg*in jedoch nicht. Das kann dazu führen, dass die Entscheidung für ein Ja oder Nein nicht mit ganzem Herzen getroffen werden kann.
Insgesamt ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass es in Ordnung ist, Nein zu sagen. Es ist ein Akt der Selbstachtung und Selbstfürsorge, der uns letztendlich dabei hilft, gesunde und authentische Beziehungen zu führen.
Ständiges Ja-Sagen macht krank
Wenn wir ständig Ja sagen, obwohl wir Nein meinen, kann uns das tatsächlich krank machen. Wir setzen uns grossem Stress aus, haben wenig Zeit für Regeneration, leben nicht nach unseren Werten und vernachlässigen unsere Bedürfnisse. Auf Dauer kann das unsere Gesundheit nachhaltig beeinträchtigen und sogar in Depressionen oder Burnout führen.
Die Vorteile des Nein-Sagens
Sich für die eigenen Grenzen einzusetzen, mag zunächst schwierig erscheinen, besonders, wenn die Angst vor Ablehnung oder sozialer Isolation im Raum steht. Doch die Erfahrung, dass das Nein-Sagen nicht mit massiven sozialen Sanktionen bestraft wird, kann sehr befreiend und bestärkend sein. Man zeigt sich selbst dadurch, dass die eigenen Bedürfnisse wichtig sind und wahrgenommen werden. Dies steigert nicht nur das Selbstwertgefühl, sondern trägt auch zur psychischen und körperlichen Gesundheit bei. Überforderung wird vermieden und es bleibt genügend Zeit für die eigene Regeneration. Dies führt zu einer besseren Leistungsfähigkeit und beugt psychischer und körperlicher Überbelastung vor.
«Du kannst kein mutiges Leben leben, ohne auch mal Menschen zu enttäuschen.»
- Oprah Winfrey -
Durch die bewusste Wahrnehmung und Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse zeigt man seiner Umwelt, wie sie mit einem selbst umzugehen hat. Wenn ich meine eigenen Bedürfnisse berücksichtige, tun dies andere auch. Ein positiver Nebeneffekt davon ist, dass Kinder uns als Vorbild nehmen und durch Beobachtung von uns lernen. Sie merken, ob wir zu etwas Ja sagen, weil wir es wollen, oder ob wir unsere eigenen Bedürfnisse zurückstellen. Mit einem klaren Nein tust du also nicht nur dir selbst etwas Gutes, sondern auch deinen Kindern. Denn sie lernen dadurch, dass es wichtig und richtig ist, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten.
Nein sagen kann man lernen!
Vielleicht denkst du dir jetzt: «Gut und schön, Nein sagen wäre wichtig, aber ich kann es einfach nicht!». Aber gute Nachrichten: Nein sagen kann man lernen!
Hier sind einige Tipps, die dir dabei helfen können:
- Bitte um Bedenkzeit: Wenn du von einer Anfrage überrumpelt wirst, weisst du im ersten Moment vielleicht noch gar nicht, ob du Ja oder Nein sagen möchtest. Mit einem «Ich gebe dir noch Bescheid» verschaffst du dir einen Zeitpuffer, in dem du bewusst spüren kannst, ob du wirklich Ja oder doch lieber Nein sagen möchtest.
- Übe in kleinen Schritten: Beginne damit, vor dem Spiegel Nein zu sagen. Probiere dabei verschiedene Formulierungen und Körperhaltungen aus und schau, womit du dich am wohlsten fühlst. In einem nächsten Schritt kannst du dich einer realen Situation stellen, in der dein Nein noch keine weitreichenden Konsequenzen hat.
- Stärke deinen gesunden Egoismus: Eigene Bedürfnisse über die Bedürfnisse anderer zu stellen klingt zunächst egoistisch – es ist jedoch eine gesunde Art des Egoismus! Er hilft dir dabei, deine Kräfte einzuteilen und gesund zu bleiben.
- Überlege dir, was dich ein Ja kostet: Mach dir klar, welcher zeitliche Aufwand bei einem Ja auf dich zukommt. Diese Zeit bekommst du nicht zurück. Achte also darauf, sie mit Dingen zu verbringen, für die sich die Zeit lohnt.
- Begründe dein Nein: Natürlich musst du dein Nein nicht rechtfertigen. Eine Begründung kann die Situation für dich jedoch erträglicher machen und deinem Gegenüber zeigen, dass es nicht an ihm liegt, sondern an den Umständen.
- Halte die Spannung aus: Wenn du einmal Nein gesagt hast, musst du die Reaktion deines Gegenübers aushalten. Dies ist insbesondere für alle Harmoniebedürftigen eine grosse Herausforderung. Du darfst aber stolz darauf sein, dass du deine eigenen Bedürfnisse wahrgenommen und vertreten hast. Mit der Zeit wird es leichter, es braucht nur etwas Übung.
- Belohne dich: Belohne dich, wenn du dich zu einem Nein durchgerungen hast. Nutze die Zeit oder Energie, die du mit dem Nein gespart hast, und mache damit etwas, das dir Freude bereitet – oder mache einfach mal nichts, auch das tut gut.
- Zusatztipp: Wenn es dir immer noch schwerfällt, für deine eigenen Bedürfnisse einzustehen, überlege dir, was du zu deiner besten Freundin/deinem besten Freund in dieser Situation sagen würdest. Würdest du die Person zwingen, entgegen ihrer Bedürfnisse Ja zu sagen, oder würdest du sie darin bestärken, sich selbst treu zu bleiben?
Fazit
Wenn du neu damit beginnst, für deine Bedürfnisse einzustehen und Grenzen zu setzen, kann das für dein Umfeld zunächst überraschend sein. Auch sie müssen sich vielleicht erst daran gewöhnen, dass du nun nicht mehr zu allem Ja und Amen sagst. Menschen, die dich achten, werden dich jedoch dabei unterstützen und sich schnell an die neue Situation gewöhnen. Und alle anderen haben vielleicht selbst Mühe damit, Nein zu sagen oder ein Nein zu akzeptieren – dann schick ihnen doch diesen Newsbeitrag zu!
Referenzen
Nein sagen: So klappt es. (o. D.). [Video]. We, myself & why. https://www.srf.ch/play/tv/-/video/-?urn=urn:srf:video:ee8d2591-400e-4c49-b39f-cf844fb3e0b5
Gegen Stress – Nein sagen lernen: So geht’s. (2023, 23. Januar). Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). https://www.srf.ch/radio-srf-3/gegen-stress-nein-sagen-lernen-so-geht-s
Nein sagen lernen – ohne Angst. (2023, 10. März). www.emotion.de. https://www.emotion.de/psychologie-partnerschaft/persoenlichkeit/nein-sagen-lernen