Ein Input zum internationalen Tag der älteren Generationen

Ältere Menschen zählen zu den glücklichsten

Wie alt möchtest DU werden?

Hast du jetzt an die 100 Jahre gedacht, dann bist du damit nicht allein. Hundert Jahre alt möchten junge Schweizer*innen in etwa werden. Dem gegenüber steht der kulturell tief verwurzelte Wunsch nach ewiger Jugend.
 

«Alle wollen alt werden, aber keiner will es sein.»
(Gustav Knuth)


Aus «jungen Augen» wird alt werden häufig mit abnehmender Leistungsfähigkeit und Gebrechen verbunden. Tatsächlich nimmt der objektive Gesundheitszustand im Verlauf des Lebens ab und ältere Menschen erleben vermehrt negative Lebensereignisse. Dies heisst aber noch lange nicht, dass es den Menschen schlecht geht. Im Gegenteil!
Wissenschaftliche Studien belegen mehrfach, dass Menschen im Alter von rund 65 bis 80 Jahren zu den glücklichsten und zufriedensten zählen. Weil dies auf den ersten Blick verblüffend wirkt, spricht man in der Literatur vom «Paradoxon des Wohlbefindens».

Die Lebenszufriedenheit verläuft in einer U-Kurve

Ab dem Erwachsenenalter nimmt die Lebenszufriedenheit immer mehr ab. In westlichen Kulturen sinkt unser Glück allerdings nicht ohne Ende. Im Alter zwischen 40 und 50 Jahren erreichen wir den Tiefpunkt - von da an geht es wieder bergauf! Mit etwa 70 Jahren stehen die Chancen gut, dass man zufriedener ist denn je. Erst gegen das Lebensende, wenn sensorische und motorische Einschränkungen weiter zunehmen, beginnt die Lebenszufriedenheit wieder etwas zu sinken.
Natürlich gilt der oben beschriebene Verlauf nur für den Durchschnitt. Es handelt sich hier um statistische Trends, basierend auf breiten Befragungen. Im Einzelfall kann der Verlauf der Lebenszufriedenheit ganz anders aussehen. Beim Betrachten dieser Trends sollten zudem verschiedene Aspekte beachtet werden. Zum Beispiel muss man berücksichtigen, dass tatsächlich Altersgruppen und nicht Generationen verglichen werden. Es könnte ja sein, dass die heute 70-Jährigen einfach zu einer viel besseren Zeit geboren wurden als die 40-Jährigen. Aus anderen Studien weiss man auch, dass zufriedenere Menschen länger leben! Somit könnte es sein, dass unglückliche ältere Menschen in der Statistik fehlen, weil sie früher gestorben sind.
Neuere Studien haben diese Punkte beachtet und dennoch zeigt sich immer wieder eine U-Kurve der Lebenszufriedenheit. Dieser Effekt wird auch unabhängig vom Gesundheitszustand, dem Einkommen, der Anzahl Kinder, dem Zivilstand oder der Bildung beobachtet. Für Männer wie auch für Frauen verläuft die Zufriedenheit zuerst sinkend und dann wieder steigend. Ab 40-50 Jahren geht es mit dem psychischen Wohlbefinden bergauf!

Auch Affen haben eine «Midlife-Crisis»

Wieso sind wir in jungen Jahren und ab der Pensionierung zufriedener? Die Gründe dafür sind nicht gänzlich geklärt, aber es bestehen verschiedene Hypothesen. Eine häufig formulierte Begründung ist, dass das Berufsleben die Zufriedenheit beeinträchtigt. Schliesslich beginnt unser Glück in dem Alter zu sinken, in welchem die Meisten beruflich tätig werden. Ab dem Erreichen des Pensionsalters werden wir dann wieder zufriedener.
Eine Studie mit Affen zeigt allerdings, dass neben kulturellen Aspekten auch unsere biologischen Voraussetzungen einen Einfluss haben könnten. Interessanterweise wurde nämlich auch bei Schimpansen und Orang-Utans eine U-Form der «Lebenszufriedenheit» beobachtet. In der Studie wurde das Befinden von gut 500 Tieren durch vertraute Zoologen eingeschätzt. Am unzufriedensten waren Tiere im Alter von etwa 30 Jahren, was dem Menschlichen Alter von 40-50 Jahren entspricht.
Die beiden beschriebenen Erklärungen stimmen wenig optimistisch, da sie sich schwierig beeinflussen lassen. Die plausibelste Erklärung der U-Kurve begründet das Glücklichsein im Alter allerdings mit psychologischen Strategien. Diese werden von den Seniorinnen und Senioren teils unbewusst eingesetzt. Und einige dieser Denkweisen oder Perspektiven könnten von allen Generationen angenommen werden, um etwas zufriedener durch den Alltag zu gehen.

Ältere Menschen sind Profis der Emotionsregulation

Wir können unsere Emotionen steuern und damit beeinflussen ob, wann, wie intensiv oder auch für wie lange wir diese wahrnehmen. Mit zunehmendem Alter scheinen wir vermehrt Erfahrung darin zu haben, derartige Strategien effizient einzusetzen. Besonders geschickt und häufig verwenden ältere Menschen vorausschauende, sogenannt antizipatorische, Strategien. Daher gelingt es den Damen und Herren besser, gar nicht erst schlechte Laune zu bekommen! Hierfür werden Situationen, die negative Emotionen hervorrufen würden, vermieden oder anders bewertet. Ein Beispiel dafür wäre, dass jemand vorausschauend nur an einem Anlass teilnimmt, wenn dieser den eigenen Möglichkeiten und Vorlieben entspricht. Darüber hinaus sind ältere Menschen konsequenter und geschickter darin, sich bewusst zurückzuziehen. Dadurch verfügen sie über mehr Energie für Aktivitäten, die ihnen wirklich wichtig sind.

Ein Grund für die hohe Emotionsregulationsfähigkeiten älterer Menschen könnte ihre hohe Selbstverantwortlichkeit sein. Darunter versteht man das Wissen, dass man selber für das eigene Befinden verantwortlich ist. Dieses Wissen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass man Emotionen vorausschauend beeinflussen kann.

Ein weiterer Grund liegt in der Perspektive auf die «Lebenszeit». Menschen, die subjektiv noch eine lange Zeit bis zu ihrem Lebensende wahrnehmen, akzeptieren eher, dass sich Aktivitäten kurzfristig negativ auf ihr emotionales Befinden auswirken. Sie investieren mehr Zeit in Dinge, die sich hoffentlich in Zukunft auszahlen. Dazu zählen zum Beispiel Wissenserwerb, Karriereplanung oder den Aufbau neuer sozialer Beziehungen. Personen, welche die Zeit bis zum Tod als begrenzt wahrnehmen, legen hingegen Wert auf Erlebnisse, welche sich unmittelbar positiv anfühlen. Aus diesem Grund investieren ältere Menschen häufiger Zeit in Aktivitäten, die ihnen wirklich Freude bereiten. Zudem legen sie den Fokus auf wenige aber wirklich gute Beziehungen. Sie halten Kontakt zu Menschen, die als sinnstiftend und emotional bedeutsam wahrgenommen werden. Die Bedeutung der wahrgenommenen Lebenszeit wird in der sozioemotionalen Selektivitätstheorie spezifiziert. Dabei ist wichtig, dass nicht das tatsächliche Alter, sondern das Gefühl von «Zeit haben» bestimmt, ob wir die beschriebenen kognitiven und motivationalen Strategien anwenden.

Emotionsregulation ist vermutlich verantwortlich dafür, dass sich ältere Menschen im Schnitt zufriedener fühlen. Bestimmt erklärt der Umgang mit Emotionen auch einen Teil der Zufriedenheit innerhalb einer Altersklasse! Und vielleicht hilft dir dieses Wissen, deinen Alltag mit seniorenhaft-gelassener Zufriedenheit anzugehen.
 

«Ich mache mir nie Sorgen um die Zukunft. Sie kommt früh genug.»
(Albert Einstein)

 

Referenzen:
Blanchflower, D. G. & Oswald, A. J. (2008). Is well-being U-shaped over the life cycle? Soc Sci Med. 66(8). S. 1733-49.
Carstensen, L. L. (2006). The influence of a sense of time on human development. Science. 312 (5782). S. 1913-5.
Gesundheitsförderung Schweiz (2020). Lebenskompetenzen und psychische Gesundheit im Alter.
Sanitas (2020). Health Forecast. Die Gesundheit der Zukunft. Sanitas.
Steptoe, A. A.,  Deaton & Stone, A. A. (2015). Subjective wellbeing, health, and ageing. The Lancet. 385 (9968). S. 640-648.
Swift, H. J., et al. (2014). Revisiting the Paradox of Well-being: The Importance of National Context. The Journals of Gerontology. Series B. 69 (6). S. 920-929.
Weiss, A., et al. (2012). Evidence for a midlife crisis in great apes consistent with the U-shape in human well-being. Proceedings of the National Academy of Sciences. 109 (49). S. 19949-19952.
Wunder, C., et al. (2013). Well-Being over the Life Span: Semiparametric Evidence from British and German Longitudinal Data. The Review of Economics and Statistics. 95(1). S. 154-167.

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