Einatmen...ausatmen...
Unser Start ins Leben beginnt mit dem ersten Atemzug nach der Geburt. Ab da begleitet uns die Atmung Tag für Tag und ist im Alltag dennoch selten präsent. Oder erinnerst du dich, wie du heute geatmet hast? Womöglich achtest du erst beim Lesen dieser Zeilen bewusst auf deine Atmung.
Wie fühlt sie sich an? Regelmässig? Flach? Intensiv? Ruhig? Wie ist der Rhythmus deiner Atmung? Was macht dein Brustkorb, dein Bauch beim Atmen? Nimm dir einen Moment Zeit und fühle.
Deine Atmung ist ganz schön zuverlässig. Rhythmisch und autonom unterstützt sie dich in allen Lebenslagen – bei Leistung sowie in Phasen der Erholung und Entspannung. Sie ist immer da und passt sich den Gegebenheiten bestmöglich an, damit du dich wohlfühlst und es dir gut geht.
«Ohne unsere Atmung geht nichts. Denn Atmen bedeutet Leben.»
Genau deshalb widmen wir der Atmung hier unsere Aufmerksamkeit.
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Frau Bettina Mosel, dipl. Atemtherapeutin und Atempädagogin in Baar entstanden. An dieser Stelle, herzlichen Dank Frau Mosel für das fachliche Know-how und die Unterstützung.
Die Geschichte des Wissens über die Atmung
Die Entwicklung des Wissens um die Aufgaben und Wirkungsweisen des Atems zählt zu den ältesten Errungenschaften menschlicher Kultur und Heilkunde und reicht über 4000 Jahre zurück.
Aus den in der östlichen Kultur entwickelten Atem- und Bewegungsschulen wie Yoga, Zen-Praktiken, Qi Gong oder Tai-Chi entstanden im antiken Griechenland die Pneumaschulen. Deren Zielsetzung bestand darin, die geistige und persönliche Reifung und die religiöse Entwicklung des Menschen zu fördern.
Ab dem 19. Jahrhundert wurde in der Atemtherapie zunehmend die Körper-Seele-Beziehung thematisiert und der Atem als eigenständiges, geistiges und spirituelles Phänomen anerkannt.
Während Jahrzehnten widmete sich der Arzt Johannes Ludwig Schmitt der praktischen Anwendung der Atemwissenschaft und Atemtherapie, welche die natürlichen Heilkräfte des Menschen anregt und entfaltet. Dabei betonte er den Aspekt der Selbsthilfe, welchen die Atemheilkunst beinhaltet.
Der Atem
Der Atem umfasst den Menschen in seiner Ganzheit, da die Atmung als lebensnotwendige Grundfunktion mit allen Vorgängen im Organismus verbunden ist. Alltagsverhalten, Gedanken, Gefühle und körperliche Veränderungen wirken sich auf den „natürlichen und unwillkürlichen“ Atem aus, können diesen anregen, vertiefen oder teilweise einschränken. Redewendungen wie «jemandem stockt der Atem» oder «jemandem geht die Puste aus» machen diese Verbindung deutlich. Die Koppelung zwischen Reiz und Reaktion können wir uns zu Nutze machen, indem wir unseren Körper und Geist bewusst mit unserer Atmung regulieren. Hierfür sind nicht mal spezielle Atemübungen nötig, sondern oft reicht ein tiefes Durchatmen oder wie es auf Schweizerdeutsch heisst «mal tüüf dureschnufe». Wie der Seufzer – also die tiefe, lange Ausatmung hat auch die lange, tiefe Einatmung einen positiven Effekt auf unsere Befindlichkeit. Sie regulieren nämlich beide unseren Körper von Anspannung in einen Zustand der Entspannung. Am altbekannten «mal tüüf dureschnufe» ist somit wahrlich was dran! :-)
Wir Menschen und unser Organismus sind darauf ausgerichtet, bei wechselnden inneren und äusseren Einflüssen in einem dynamischen Gleichgewicht zu bleiben bzw. dieses wiederherzustellen. Ein simples Beispiel ist hierfür die erhöhte Atemfrequenz bei körperlicher Aktivität.
Warum atmen wir schneller beim Sport?
Beim Sport arbeiten unsere Muskeln auf Hochtouren, weshalb Herz und Lunge besonders viel leisten und unsere Puls- und Atemfrequenz in die Höhe treiben. Strengen wir uns nicht an, atmen wir pro Atemzug rund 0.5 bis 0.7 Liter Luft ein und aus. Dabei nutzt die Lunge nicht ihr volles Volumen. Sind wir körperlich aktiv - treiben Sport, kann das Volumen pro Atemzug auf bis zu 2.5 Liter ansteigen. Ausdauersportlerinnen und -sportler bringen es gar auf über 4 Liter pro Atemzug.
Um noch mehr Sauerstoff und Kohlendioxid (Abfallprodukt der Ausatmung) auszutauschen, steigt nicht nur das Volumen, sondern auch die Atemfrequenz. Während eine gesunde, erwachsene Person im Ruhezustand 12 bis 15 Atemzüge pro Minute macht (Atemminutenvolumen von rund 6 bis 8 Liter pro Minute), steigert unser Körper für die optimale Anpassung beim Sport die Atemfrequenz auf 40 bis 50 Atemzüge pro Minute (Atemminutenvolumen bis 120 Liter pro Minute). Beeindruckend, nicht?
Weisst du, wie viel Luft ein Mensch durchschnittlich einatmet?
- Pro Atemzug: 0.6 Liter (etwas mehr als eine 5dl Wasserflasche)
- Pro Tag: 15'000 Liter (rund 100 gefüllte Badewannen)
- Im ganzen Leben: 300 Millionen Liter (ca. 2 Mio. gefüllte Badewannen)
Der Einfluss der Atembewegung
Während alle Organe des Körpers über die Atmung mit ausreichend Sauerstoff und Energie versorgt werden, werden einzelne Organe, wie das Herz und der Verdauungstrakt von den Atembewegungen räumlich oder in ihrer Struktur gezielt angeregt. In Bezug auf das Herz bedeutet dies, dass du deine Herzfrequenz über die Atmung regulieren kannst. Du kennst bestimmt Situationen, die dich nervös machen und deinen Puls in die Höhe treiben. Vielen geht es z.B. vor Prüfungen oder Präsentationen so. In solchen Situationen kannst du deinen Herzschlag über deine Atmung bewusst herunterregulieren, indem du regelmässig langsam tief durch deine Nase ein- und den Mund ausatmest. Achte dabei bewusst auf deine Atmung. Atme tief in deinen Bauch ein und langsam wieder aus. Leg eine oder beide Hände auf Höhe des Nabels auf deinen Bauch und spüre wie sich dein Bauch bei der Einatmung nach aussen wölbt und bei der Ausatmung wieder abflacht. Atme rund 10 Mal tief ein und aus. Fühle dabei wie dein Herzschlag ruhiger wird und du dich allmählich entspannter fühlst. Nach dieser simplen Übung bist du parat, um mit klarem Kopf an die Prüfung zu gehen oder deine Präsentation zu halten. Nützt natürlich auch in vielen anderen Lebenssituationen, die dir ein mulmiges Gefühl in der Magengegend bereiten.
Am besten funktioniert das, wenn du die Atemübungen schon öfter ausgeführt hast und dein Körper es gewohnt ist, darauf zu reagieren.
Es bestehen also komplexe Wechselwirkungen zwischen Atem, Körperfunktionen, Denken und Fühlen des Menschen. Jeder körperliche, seelische und geistige Impuls hat auch eine direkte Auswirkung auf das Atemgeschehen.
Ein ausgeglichener Atemrhythmus unterstützt das vegetative Nervensystem und das psychosomatische Gleichgewicht kann wiederhergestellt werden. Dieser funktioniert aber nicht ohne das Zwerchfell, welches wir nun genauer beleuchten werden.
Das Zwerchfell - der wichtigste Atemmuskel
Das Zwerchfell ist der wichtigste Atemmuskel des Menschen. Es hat die Form einer Doppelkuppel und teilt den Rumpf in Bauch- und Brusthöhle. Um die Versorgung des Organismus mit Sauerstoff zu gewährleisten, ist es wichtig, dass das Zwerchfell sich möglichst frei bewegen und frei schwingen kann.
Beim Einatmen strömt sauerstoffreiche Luft in die Lungenflügel ein, beim Ausatmen verlässt die verbrauchte Luft den Körper wieder. Damit dies geschehen kann, schwingt das Zwerchfell beim Einatmen nach unten in Richtung Bauchhöhle. Dadurch bewegen sich auch die Lungenflügel nach unten und die Luft strömt ein. Beim Ausatmen schwingt das Zwerchfell zurück in Richtung Brusthöhle – die verbrauchte Luft entweicht. Wenn du die Hände auf den Bauch legst, kannst du diese dreidimensionale Bewegung spüren.
Das Zwerchfell steht nicht für sich allein. Es ist unter anderem mit dem Bindegewebe verbunden, das die Brust- und Bauchorgane umgibt. So massiert das Zwerchfell bei seiner Tätigkeit das Herz und die Verdauungsorgane. Je besser das Zwerchfell also schwingen kann, desto besser werden die Organe versorgt und desto besser geht es dem Menschen.
Wenn das Zwerchfell fest und unbeweglich ist, kann dies zu Verspannungen, Angst und Engegefühl führen. Umgekehrt kann sich das Zwerchfell bei Stress, flacher Atmung oder Erkrankungen des Bewegungsapparates verspannen und nicht mehr effektiv arbeiten.
Um diesen wichtigen Muskel gesund zu halten, gibt es viele Möglichkeiten:
Herzhaft lachen zum Beispiel ist eine super Übung, um das Zwerchfell gesund zu halten. Denn über die Erschütterungen des Brustkorbes beim Lachen wird der Muskel gelöst und bewegt.
Weiter kannst du das Zwerchfell aktivieren, indem du mit leicht zusammengehaltenen Zähnen und einem offenen Kussmund den Ton «Sch-sch-sch- …», wie das Geräusch einer Laubsäge, erklingen lässt. Dabei ertönt sowohl beim Ausatmen, als auch beim Einatmen ein «sch», als würdest du «sch – ön» sagen. Liegen die Hände dabei unter den Rippenbögen, kann die Atembewegung sehr gut erfasst werden. Anschliessend gut nachspüren und entdecken, wie sich der Atem nun zeigt.
Die sanfte rhythmische Bewegung, die dabei entsteht, lockert die Muskulatur und ermöglicht ein freies Schwingen des Zwerchfells.
(Weiter kannst du das Zwerchfell aktivieren indem du erst lautlos, dann langsam und immer schneller werdend mit zusammengehaltenen Zähnen den Ton «Schschsch», wie das Geräusch einer Laubsäge, erklingen lässt.)
Eine andere Möglichkeit, um dem Zwerchfell ein freies Schwingen zu ermöglichen ist, den Rumpf langsam nach rechts und links zu drehen mit fast stimmlosem «Huuuuh». Anschliessend gut auf die Wahrnehmung im Bereich des Zwerchfells achten und beobachten, welche Empfindungen sich einstellen.
Der sogenannte «Sämann» hat einen ähnlichen Effekt: Im Stehen die Arme schnell und schwungvoll von rechts nach links und umgekehrt um den Körper schwingen: Rumpf, Wirbelsäule und Kopf kommen dazu. Die Fussgelenke, Knie und Schultern bleiben weich und nachgiebig. Nach eigenem Ermessen die Übung beenden und nachspüren, ob sich eine Veränderung im Atemgeschehen einstellt.
Interessierst du dich für weitere Atemübungen, so könnte unser Beitrag «Atemtechniken: Bewusst atmen für mehr Ruhe und Gelassenheit im Alltag» was für dich sein.
Referenzen:
Atemfachverband Schweiz AFS
Moor, C. (2018). Wie funktioniert die Atmung. Blog CSS Versicherung. Verfügbar unter: https://www.css.ch/de/privatkunden/meine-gesundheit/koerper/wunderwerk-koerper/wie-funktioniert-atmung.html